03. Dezember 2021 – im Einklang, Impressionen einer ‚echten‘ Blumenwiese
'Wenige Landschaften mögen [...] so voll Nachtigallenschlag und Blumenflor angetroffen werden, und der aus minder feuchten Gegenden Einwandernde wird fast betäubt vom Geschmetter der zahllosen Singvögel, die ihre Nahrung in dem weichen Kleiboden finden. [...] aus denen jeder Schritt Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge aufstäuben lässt. [...] Fast jeder dieser Weidengründe enthält einen Wasserspiegel, von Schwertlilien umkränzt, an denen Tausende kleiner Libellen wie bunte Stäbchen hängen, während die der größeren Art bis auf die Mitte des Weihers schnurren.'
Annette von Droste-Hülshoff in Bilder aus Westfalen' (1840) über das Münsterland.
Naturbeschreibungen in der Literatur als Indizien vergangener Artenvielfalt
Heute taugen Naturbeschreibungen von Dichtern und Dichterinnen als Indiz für die Veränderung der Artenvielfalt, in diesem Fall die Beschreibung von Annette von Droste-Hülshoff ihrer Umgebung Mitte des 19. Jahrhunderts. Wer von uns hat schon aufstäubende Schwärme blauer, gelber und milchweißer Schmetterlinge mit eigenen Augen gesehen? Als ich dieses Zitat in einer Veröffentlichung zum Insektensterben gefunden habe, hat sich mir der Gedanke aufgedrängt, dass es eine aufschlussreiche Untersuchung wäre, die Naturbeschreibungen in der Literatur des vergangenen Jahrhunderte auf die Erwähnung von Tier- und Pflanzenarten zu durchforsten, aber nicht nur die, auch alte Landschaftsgemälde geben Hinweise auf die Ausprägung und den Zustand vergangener Landschaften. Lohnenswert deshalb, weil es noch nicht sehr lange Datenerfassungen für die Arten von Pflanzen und Tieren gibt. Bei manchen Tierarten, insbesondere Insekten, sind die Datengrundlagen immer noch sehr dürftig.
‚Echte‘ Wiesen am Rand der Seealpen
Ich selbst habe mit die größte Anzahl an Schmetterlingen auf den Wiesen und Hängen am Fuße der Seealpen gesehen. ‚Echte Blumenwiesen‘ sind in Mitteleuropa in der Regel das Ergebnis von extensiver Bewirtschaftung durch Beweidung und/oder ein- bis zweimaliger Mahd pro Jahr zur Heugewinnung. Die beigefügten Fotos zeigen eine Wiese im Hochsommer, mit dem vorherrschenden Aspekt der Blüten der Wiesenflockenblume. Dies ist eine üppige, vielfältige Wiese mit einem, wie ich vermute, mittleren Nährstoffgehalt, die wahrscheinlich ein- bis zweimal gemäht wird.
Genügt kontemporäres und individuelles Naturerlebnis als Maßstab für Ziele des Naturschutzes?
An den kargen, extensiv mit Schafen beweideten Hängen weiter oben in den Seealpen habe ich zum ersten Mal auch kleine Schwärme zum Beispiel von Bläulingen gesehen, die sich auf den Hinterlassenschaften der Weidetiere versammeln. So sehr mich dieses Erlebnis fasziniert hat, so eindringlich hat es mir auch vor Augen geführt, dass wir uns schleichend daran gewöhnen, uns mit weniger Vielfalt zufrieden zu geben, mehr noch, wir tun es, ohne es zu merken, denn wir gehören schon zu einer Generation, die gar nicht weiß, dass es anders sein könnte.
was man selbst tut
Jedes Jahr um diese Zeit beginne ich mit der Vogelfütterung und freue mich über die recht beachtliche Schar an Finken, Meisen, Kleibern, Rotkehlchen etc., die sich vor meinem Fenster um die Meisenknödel und die Sonnenblumenkerne balgen. Das tue ich hauptsächlich für mich selbst. Das Füttern der Vögel am Futtersilo rettet die Vielfalt nicht, mein an sich eher wilder Garten mit vielen Wildpflanzen ist schon eher ein Beitrag dazu. Aber es braucht viel weitreichendere Veränderungen und Maßnahmen. Hauptsächlich viel mehr Flächen, die ohne Pestizide und Dünger bewirtschaftet werden, viel mehr Vielfalt an landschaftlichen Strukturen, viel mehr Vernetzung der Lebensräume der Tiere und Pflanzen. Genau da kann ein natürlicher Garten dann schon helfen.