03. November 2021 – der verwunschene Garten
Der Besuch einer eindrucksvollen Klosterruine hat mich - einmal mehr - darüber zum Nachdenken gebracht, wie unterschiedlich Menschen ihre Umgebung wahrnehmen. Ich empfinde die Verbindung von altem Gemäuer und üppiger Vegetation als sehr ästhetisch, noch dazu an einem leicht verregneten Herbsttag. Aber was genau macht die besondere Stimmung des 'verwunschenen Gartens' aus?
alt und verwildert
der verwilderte Garten, der alte Garten – bei mir löst das eine Fülle von Bildern vor meinem Inneren Auge aus, reich an Assoziationen, Emotionen und Erinnerungen. Für mich sind diese Gartenmotive sehr intensiv. Aber warum ist das so?
Was macht den Reiz dieser Gartenmotive aus?
Im verwunschenen Garten bin ich nicht eine agierende, sondern eine passive Person. Ein Ort, der mich nicht dazu auffordert einzugreifen, der seiner eigenen Dynamik folgt. Er spricht mich quasi frei von Verantwortung. Ein Ort an dem man Kontrolle abgeben kann, wo man frei sein kann von Zwängen und Pflichten. Was ihn zu einem kontemplativen Ort macht, wo man seine Aufmerksamkeit nach innen richten und sich der Zeit entrückt wahrnehmen kann. Die Gedanken müssen kein Ziel verfolgen und können schweifen oder ruhen.
Gleichermaßen verbirgt mich der Garten, wenn ich will, und so kann ich aus dem Alltäglichen heraustreten, mich allen Aufgaben entziehen, für eine kleine Weile. Alle Sinne werden angeregt, ich bewege mich langsam, eher vorsichtig, zögerlich – und komme zur Ruhe.
Der verwunschene, verwilderte Garten ist zudem spannend, da es Verborgenes, Überwachsenes gibt, das entdeckt, gefunden werden kann. Er gibt kleine Bruchstücke der Geschichte seiner früheren BenutzerInnen preis, Hinweise auf eine ganz andere Art zu leben, wenn es ein wirklich alter Garten ist, denn es ist ein Garten, keine freie Landschaft. Er ist durch menschliche Hand geworden, was er ist, befindet sich aber gerade in einem Übergangsstadium, wo er sich zunehmend der Kontrolle entzieht. Der Zustand ist flüchtig, nicht stabil.
einen verwunschenen Garten pflegen
Der alte, verwilderte und verwunschene Garten befindet sich in einem Zustand der zeitlos erscheint und gleichzeitig sich in einem fragilen, prekären Zustand befindet. Einerseits kann die Verwilderung einen Grad überschreiten, der ins Undurchdringliche, Düstere und Unheimliche, ins Modernde und Muffige kippt. Andererseits kann ein ‚ordnender gärtnerischer Eingriff‘ alles Geheimnisvolle, Entrückende und Kontemplative mit einem Schlag zerstören.
In einem alten Garten das Verwunschene und Geheimnisvolle zu erhalten ist durchaus eine Kunst. Nur so viel tun, dass es nicht ins Dunkle kippt, aber nicht aufgeräumt und statisch wirkt. Wie soll man das nennen? Eine kultivierte Vernachlässigung? Immer nah am Rande der Verwilderung arbeiten, sich immer in der Nähe des schmalen Grats aufhalten, mal knapp auf der einen, mal gerade auf der anderen Seite.
Zur Ruhe kommen –
– bevor man mit der Gartenarbeit beginnt, damit man dem Garten mit dem nötigen Respekt begegnen kann und nicht eigene Unruhen und Erregungen daran auslässt.