21. September 2020 – durcheinander wachsen
in der Botanik spricht man von Pflanzengesellschaften (Einteilung nach Oberdorfer in pflanzensoziologische Einheiten). Dies beschreibt die Auswahl an Pflanzen, Gattungen und Arten, die sich typischerweise an einem bestimmten Standort unter bestimmten Bedingungen zusammen von selbst ansiedeln. Diese Pflanzengesellschaften an einem bestimmten Standort unterliegen im Laufe der Zeit Veränderungen in der Zusammensetzung, Das nennt man Sukzession. Vereinfacht gesprochen, entwickelt sich ein neuer Standort, also umgebrochener Boden, in unseren Breiten, von einer Unkrautflur in eine Staudenvegetation, über ein Gebüsch in einen Wald, sofern keine Eingriffe vorgenommen werde.
In meinem älteren Garten (ich bezeichne Gärten deren überwiegende Vegetation, hauptsächlich sind damit die Gehölze gemeint, mehr als 20 Jahre besteht als ‚älter‘, ein alter Garten wäre für mich ein Pflanzenbestand mit einem Alter von mehr als 60 Jahren) ist der Boden soweit zur Ruhe gekommen, bzw. gereift, dass sich Sämlinge von Gehölzen einstellen. Überwiegend finde ich Sämlinge von der Hainbuche, Feldahorn, Birke, Eberesche, Vogelkirsche, Eibe, Eßkastanie; aber auch Waldkiefer, Weißdorn, Felsenbirne, Efeu, Holunder, Hundsrose – und natürlich auch Feuerdorn, Brombeere und Robinie. Samen, die vom Wind angeweht, von Vögeln und anderen Tieren im Garten verteilt werden.
Oft denke ich, dass es keine 10 Jahre dauern würde, bis der Garten ein undurchdringliches Gebüsch wäre. Weitere 20 Jahre und da stünde ein kleiner Wald. Was würde sich durchsetzen? Nicht unwahrscheinlich: die Eßkastanie.
Auch wenn das alles chaotisch abzulaufen scheint, keinem Ordnungsprinzip folgend, ist das ein Trugschluss. Standorte entwickeln, wenn sie ungestört bleiben, typische Pflanzengesellschaften, die, ihnen immanenten Ordnungsprinzipien folgen, und die für eine, in menschlicher Wahrnehmung, längere Zeit stabil sein können.
Welchem Ordnungsprinzip folgt nun zum Beispiel ein natürliches Gebüsch, das wir mit einer gemischten Hecke nachzuahmen versuchen? Auch hier wieder vereinfachend gesprochen, setzt sich ein Gebüsch häufig aus verschiedenen Arten zusammen, die sich einen Standort teilen, die ineinander wachsen. Es finden dynamische Prozesse statt, es gibt ein ausgewogenes Miteinander, es gibt Verdrängung und Abfolgen, Altern und Verjüngung. Es wird durcheinander gewachsen. Das ist ein Gebüsch mit hohem ökologischem und ästhetischem Wert. Dafür braucht es Platz und ein ‚in Ruhe lassen‘. Ein Gebüsch möchte ich als Einheit betrachten und nicht in Individuen herunterbrechen, die einzeln nebeneinander stehen, jeder Strauch fein säuberlich für sich.
Ähnliches gilt auch für krautig wachsende Pflanzen: Stauden, Knollen, Ein- und Zweijährige. Sie folgen verschiedenen Ordnungsprinzipien und möchten in Verbänden und in Vergesellschaftungen wachsen, durcheinander, miteinander. Wenn man genau schaut, findet man das Ordnungsprinzip einer Vegetation heraus. Denn sie ist überhaupt nicht ohne Ordnung. Es gibt die unterschiedlichsten, mal einfache, mal komplexe Ordnungsprinzipien bei Pflanzengesellschaften. In der Natur ist das Ordnungsprinzip jede Pflanze für sich, mit Abstand neben einer anderen, eher selten und kommt am ehesten an schwierigen, oder sehr kargen Standorten vor.
Ich möchte, wieder ein Mal, auf den Unterschied zwischen Garten und Natur hinweisen und dazu ermutigen, mehr natürliche Prozesse im Garten zuzulassen.